Was uns die Archäologie erzählt

Die in der archäologischen Stätte durchgeführten Forschungen erzählt, dass die Skulpturen und die Nekropole von Mont’e Prama das Ergebnis einer kulturellen Revolution, die in den letzten Jahrhunderten der Bronzezeit begann und in der Eisenzeit (ca. 950-730 v. Chr.) ihren Höhepunkt erreichte.

Die Interpretation der Ausgrabungsstätte von Mont’e Prama

Die derzeitige wissenschaftliche Debatte konzentriert sich auf die Art des Fundortes und die Bedeutung des Skulpturenkomplexes.
Die Statuen, Nuraghenmodelle und Baityloses bilden zusammen einen Komplex, der jedoch in Größe, Stil und Ausführung variiert.

Wer waren die Handwerker, die diese Werke hervorbrachten?
Welche Beziehung bestand zwischen Skulpturen und Nekropolen?

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Einer Interpretation zufolge standen die Statuen in einem Bereich unmittelbar neben der Nekropole und repräsentierten zusammen mit den begrabenen Toten die oberste soziale Klasse unter Darstellung ihres militärischen (Bogenschützen und Krieger) sowie religiösen (Boxer) und politischen Werts (Nuraghenmodelle).

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Nach einer anderen Interpretation repräsentieren die Statuen ihre Vorfahren, die mythischen Helden der nuraghischen Legenden, während die Modelle der Nuraghen die Identität und Geschlossenheit der Gemeinschaft symbolisierten und die Baityloses an die alten heiligen Steine der Gräber der Erbauer der Nuraghen erinnerten.

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Eine letzte Interpretation besagt, dass die Statuen eine Erinnerung an ein wichtiges Ereignis in der Geschichte der Nuraghenkultur zelebrieren.
Guerriero Mont'e Prama detto "Gherreri"

Ganz gleich, wie man sie interpretiert, ist eines klar: Die Statuen haben einen starken symbolischen Charakter, der darauf abzielt, eine Botschaft der Zugehörigkeit und der territorialen Vorherrschaft zu vermitteln, die sich sowohl an die lokalen Gemeinschaften als auch an die ausländischen Gemeinschaften orientalischer Herkunft richtet, die in jenen Jahren auf dem Seeweg ankommen.

Die Skulpturen von Mont’e Prama brachten Identität und Zugehörigkeit zum Ausdruck,
Werte, die in einer Zeit des historischen Übergangs, die durch tiefe Spannungen und Transformationen gekennzeichnet war, besonders wichtig waren.

Die Chronologie

Was die Chronologie betrifft, so herrscht derzeit eine Interpretation vor, wonach – auf der Grundlage einer neuen und detaillierteren Klassifizierung des Skarabäus und der Halskette aus dem Grab Tronchetti Nr. 25 zusammen mit allen anderen bei den Ausgrabungen gefundenen Artefakten – sowohl die Gräber als auch die Skulpturen auf die Zeit zwischen dem Ende des 9. und der 1. Hälfte des 8. Jh. v. Chr. zurückgehen, d h. auf ein fortgeschrittenes Stadium der frühen Eisenzeit.
Diese Datierung stimmt im Wesentlichen mit der ersten kalibrierten Radiokarbondatierung von acht in den Gräbern gefundenen Skeletten überein, die jedoch leider immer noch eine hohe Fehlerspanne aufweist.

Was die Chronologie der Nekropole anbelangt, kann man von einer Abfolge von Gruppen strukturierter Gräber mit Sandsteinabdeckungen von Norden nach Süden ausgehen. Die einfachen Grubengräber, die ein breites Band östlich der strukturierten Gräber einnehmen, scheinen insgesamt älter zu sein, weisen jedoch vermutlich keine Skulpturen auf.
Nach allen bisherigen Forschungsergebnissen stammen die Skulpturen von Mont’e Prama also aus der Eisenzeit, d.h. sie sind das Werk einer Gesellschaft, die sich von der Bronzezeit radikal verändert hat.

Ungelöste Fragen

Die Nekropole des Mont’e Prama weist insbesondere im Bereich der Bedini-Ausgrabung drei verschiedene Nutzungsphasen auf: eine erste Phase, die älteste, bestehend aus einzelnen Grubengräbern, in denen jeweils ein Leichnam beigesetzt wurde, eine zweite Phase, in der neue Einzel- oder Gruppengräber mit Steinplatten in ungeordneter Weise eingerichtet wurden, und eine dritte Phase, in der die Gräber mit einer quadratischen Platte abgedeckt wurden und die Gräber perfekt geometrisch ausgerichtet waren.
Oberhalb dieser gut organisierten Gräber und auf dem freien Platz vor ihnen, der eine Art Begräbnisstraße darstellte, wurden Statuen in fragmentarischem Zustand gefunden.

Aus der Untersuchung der Funde und der archäologischen Stratigraphie geht hervor, dass die Statuen bereits in der Antike zerbrochen und absichtlich auf und neben den Gräbern deponiert wurden. In den chaotischen Anhäufungen dieser skulpturalen Steinfragmente (der so genannten „Halde“) wurde auch vereinzeltes Keramikmaterial aus der nuraghischen, punischen und römischen Zeit gefunden. Daher besteht einer der kritischen Punkte der Forschung gerade darin, zu klären, wann und wie diese „Halde“ entstanden ist.

Es gibt also eine Reihe von Interpretationsproblemen bezüglich der Verbindung zwischen der Nekropole und den Skulpturen, ihrer ursprünglichen Anordnung und ihrer endgültigen Lagerung in der Halde.
Wo standen die Statuen?
Auf den Platten, die die Gräber bedecken, in einem an die Nekropole angrenzenden Bereich oder anderswo?
Wann wurden die Statuen zerstört, von wem und warum?
Warum wurden sie direkt auf den Gräbern aufgehäuft, nachdem sie zerstört wurden?

Luftaufnahme der Nekropole von Bedini und Tronchetti am Ende der Ausgrabungskampagne des Jahres 2015
30. August 1979. In dem im westlichsten Bereich gelegenen Abschnitt erkennt man links ein Modell einer komplexen Nuraghe, rechts einen Torso und dazwischen weitere Fragmente von Statuen.

Der Standort der Statuen

Bis heute bieten die Umstände des Fundes keine eindeutigen Anhaltspunkte, um den ursprünglichen Standort der Statuen zu bestimmen. Die Fragmente wurden unter chaotischen Bedingungen vorgefunden: So wurden beispielsweise eigentlich zusammengehörige Teile derselben Skulptur an relativ weit voneinander entfernten Stellen innerhalb der Halde und unter sehr unterschiedlichen Bedingungen gefunden.

Es gibt mehrere Hypothesen über den Standort der Statuen in der Antike: Einige glauben, dass die Statuen in einem Bereich abseits der Gräber aufgestellt wurden, um einen hypothetischen als Heiligtum betrachteten Bereich abzugrenzen, während andere glauben, dass sie im Bereich der Nekropole selbst aufgestellt wurden, wenn nicht sogar auf den Platten, die die Gräber selbst abdecken.

Es besteht kein Zweifel, dass die Beziehung zur Nekropole eine gewollte und angestrebte Verbindung ist: Die Konzentration auf den Platten ist deutlich, die skulpturalen Fragmente hören einige Meter vom Grabbereich entfernt auf, während sie sich in mehreren Ebenen direkt über und neben den Platten überlagern.

Die Zerstörung der Stätte

Wann und von wem wurden die Statuen zerstört?
Diesbezüglich wurden drei Haupthypothesen aufgestellt: Laut der ersten geht die Zerstörung des Komplexes auf einen internen Kampf zwischen lokalen Gemeinschaften der Nuraghenkultur zurück, die zweite geht davon aus, dass die Zerstörung durch die Phönizier von Tharros Ende des 7. Jh. v. Chr. erfolgte, die dritte dagegen nimmt an, dass die Zerstörung der Statuen in der zweiten Hälfte des 4. Jh. v. Chr. durch die Karthager erfolgte, die sich zum damaligen Zeitpunkt auf der Insel aufhielten.

Die aktuelle Debatte

Die derzeitige wissenschaftliche Debatte stellt die Frage nach dem Charakter der Fundstätte und der Bedeutung des Skulpturenkomplexes im Rahmen einer komplexeren Betrachtung des Niedergangs der Nuraghenkultur und der Entwicklung der Beziehungen zwischen den verschiedenen nuraghischen Gemeinschaften und zwischen diesen und den Gruppen phönizischer Seefahrer, Händler und Handwerker, die sich an der sardischen Küste niederließen.

Die Statuen, Nuraghenmodelle und Baityloses bilden insgesamt einen Komplex, der jedoch in Größe, Stil und Ausführung variiert. Es ist nicht sicher, ob er einem präzisen und einheitlichen figurativen und ideologischen Programm entsprach, ob er in kurzer Zeit von einer einzigen Gruppe von Handwerkern realisiert wurde und in welchem räumlichen und funktionalen Zusammenhang er mit der Nekropole oder mit anderen noch nicht dokumentierten Strukturen steht.

Welche Bedeutung könnten die Skulpturen also gehabt haben?

Manchen Gelehrten zufolge repräsentierten die Statuen zusammen mit den begrabenen Toten auch die wichtigste soziale Schicht, wobei die Bogenschützen die militärischen Werte, die Boxer die religiöse Sphäre und die Nuraghenmodelle die politische Sphäre repräsentierten. Einer anderen Interpretation zufolge stehen die Statuen nicht für die Verstorbenen selbst, sondern für Darstellungen ihrer Vorfahren, die als mythische Helden der nuraghischen Legenden heraufbeschworen werden, die Modelle der Nuraghen als Symbole der Identität und Einheit der Gemeinschaft und die Baityloses als Anspielungen auf die antiken heiligen Steine der Gräber der Erbauer der Nuraghen gelten. Eine letzte Interpretation besagt, dass die Statuen eine Erinnerung an ein wichtiges Ereignis in der Geschichte der Nuraghenkultur zelebrieren.

Der Grab- und Skulpturenkomplex wird oft als Heroon definiert, ein griechisches Wort für eine organisierte und strukturierte Stätte der Verehrung der in den Heldenstand erhobenen Ahnen und zur Feier der traditionellen Werte der Gemeinschaft, die sich mit ihnen identifizieren. Die Skulpturen des Mont’e Prama brachten folglich Identität und Zugehörigkeit zum Ausdruck, Werte, die in einer Zeit des historischen Übergangs, die durch tiefe Spannungen und Transformationen gekennzeichnet war, besonders wichtig waren. Sie hätten daher einen starken Symbolcharakter, der den lokalen Gemeinden und den östlichen Gemeinden, die in jenen Jahren die Küsten Westsardiniens überblickten, eine Botschaft der Zugehörigkeit und des territorialen Besitzes vermitteln sollte.

Detail der Brüstungskrone des Hauptturms eines viergliedrigen Nuraghenmodells, ausgestellt im Museo civico Giovanni Marongiu Cabras von Cabras.
Zwei Modelle einer vierlappigen Nuraghe und in der Mitte ein Bethel.

Aber auf welche Identität und Zugehörigkeit spielen sie an?

Die einer nuraghischen Gemeinschaft im Verhältnis zu den anderen? Diejenigen, die einer bestimmten nuraghischen Gesellschaftsschicht angehörten, im Verhältnis zu anderen? Oder gar die aller nuraghischen Gemeinschaften der Sinis-Halbinsel im Verhältnis oder im Gegensatz zu den Neuankömmlingen aus dem Orient?

Es ist unbestreitbar, dass die Statuen von Boxern, Bogenschützen und Kriegern sowie die stilisierten Darstellungen von Nuraghen eines der bedeutendsten Produkte der Nuraghenkultur in ihrer Entwicklung auf dieser Insel insgesamt darstellen. Trotz des offensichtlichen ikonografischen und stilistischen Zusammenhangs mit der umfassenden und berühmten Produktion von kleinen Votivbronzeskulpturen, die die gesamte Insel zwischen der späten Bronzezeit und der frühen Eisenzeit kennzeichnete, sind die Statuen und die Fundstätte von Mont’e Prama selbst einzigartige Skulpturen des nuraghischen Sardiniens.

Die Auftraggeber, d.h. die Mitglieder der entstehenden Gemeinschaften oder Familien, die die Skulpturen zur Selbstdarstellung und -feier anfertigen ließen, scheinen gleichermaßen in der lokalen Welt verwurzelt, aber auch bereit zu sein, neue Sitten und Gebräuche zu akzeptieren, die ihr Prestige und ihre Macht erhöhen könnten, während es nicht auszuschließen ist, dass die Handwerker, die sie anfertigten, orientalischer Herkunft waren. Der Bestattungskult erinnert zwar an die heroische Tradition der kollektiven Gigantengräber mit den Baityloses, es findet hier aber ausschließlich eine individuelle Aufbahrung statt, die die Bewahrung und wahrscheinlich auch die Erkennbarkeit individueller persönlicher Identitäten ermöglicht.
Die Skulpturen gehören zwar zur ikonografischen und symbolischen Welt der Nuraghenmodelle aus Bronze, verlassen aber die Votivsphäre und begeben sich in die Grabsphäre. Die Skulpturen selbst drücken zwar die Weltanschauung des Nuraghenvolkes der frühen Eisenzeit aus, scheinen aber das Eingreifen fremder Handwerker und die Einführung orientalischer Ideologien und Bräuche zu zeigen.

Die Statuen und Modelle der Nuraghen scheinen das Produkt einer extremen Vergrößerung der Votivbronzen zu sein, die in einem von starken Spannungen durchzogenen kulturellen Kontext in einer Zeit des epochalen Übergangs stattfand, der stark gegenwärtig war und unter dem die Bevölkerung litt.

Zur Interpretation und Chronologie der Stätte sei verwiesen auf:
Tronchetti-Bedini 1985; Lilliu 1997; Lilliu 2004, S. 497-498; Tronchetti-VanDommelen 2006; Contu 2006; Tronchetti 2005; Tronchetti 2007; Zucca 2011; Rendeli 2011; Bedini 2012a; Bedini-Tronchetti 2012; Bedini-Tronchetti et alii 2012; Tronchetti 2012a; Sirigu 2012; Bernardini 2013; Zucca 2014; Rendeli 2010; Rendeli 2014; Tronchetti 2014; Lo Schiavo 2014; Bernardini 2014; Minoja-Usai 2014; Usai 2015b; Usai 2014d; Bernardini 2016; Usai 2015b und deren jeweilige Bibliografie.

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